Ninon Hesse – zum 125. Geburtstag

Ninon ist die älteste Tochter des jüdischen Anwalts Jakob Ausländer und seiner Frau Gisela. Sie wurde am 18. September 1895 in Czernowitz in der Bukowina geboren (heute Ukraine), der östlichsten Stadt der österreichisch-ungarischen Monarchie, in der durch das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. Angehörige verschiedener Religionen (so auch Juden) siedeln durften, in der andererseits aber auch das Deutschtum gefördert wurde.

Von Kindheit an war Ninon sehr belesen, und als sie mit 14 Jahren ein Buch von Hermann Hesse geschenkt bekam, war es um sie geschehen. „Peter Camenzind“ verschlingt sie mit Begeisterung, jedoch keineswegs unkritisch, denn sie setzt sich mit der Frage des Künstlertums auseinander und entschließt sich, an Hesse einen Brief zu schreiben, den dieser auch beantwortet. In den folgenden Jahren hält sie brieflichen Kontakt zu Hesse und berichtet ihm in losen Abständen aus ihrem Leben.

Nach Abschluss der Schule übersiedelt Ninon im Oktober 1913 nach Wien, um hier ein Medizinstudium zu beginnen. Sie ist beseelt von dem Wunsch, anderen zu helfen, fühlt sich jedoch auch der Kunst verbunden, daher studiert sie nebenbei auch noch Kunstgeschichte, malt und schreibt. Der Zwiespalt zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Kunst und Wissenschaft, bestimmt ihr Leben.

Als 1914 der erste Weltkrieg ausbricht, befindet sich Ninon mit ihrer Mutter gerade in Deutschland; die beiden können nicht mehr nach Czernowitz zurückkehren. Ab nun beginnt das Flüchtlingsleben der Familie, die sich mit Hilfe von Verwandten in Wien ansiedelt.

Im März 1918 lernt Ninon den Ingenieur, Zeichner, Sänger und Essayisten Fred Dolbin kennen, den sie ein halbes Jahr später heiratet. Die Ehe erweist sich aber als schwierig, und 1924 trennt sich das Paar. Der Kontakt bleibt jedoch bestehen, auch wenn Dolbin inzwischen nach Berlin gegangen ist und dort als politischer Karikaturist Karriere macht. Anfang 1926 begleitet sie Dolbin auf eine Versöhnungsreise nach Genf, reist allerdings danach nicht gleich nach Wien zurück, sondern besucht Hesse in Zürich und wird seine Geliebte. Hesse befindet sich nach der Trennung von seiner 2. Frau gerade in einer selbstverneinenden Lebenskrise, Ninon beschliesst spontan, ihm beizustehen und bei ihm zu bleiben – gegen jede Ermunterung seinerseits. Sie durchbricht die Abkapselung des „Steppenwolfs“, gibt ihr früheres Leben auf und zieht im Juni 1927 endgültig nach Montagnola. Am 14.11.1931 wird sie Hesses dritte Ehefrau.

Auch die Beziehung zu Hesse ist alles andere als einfach, denn dieser ist ein schwieriger Charakter, der am liebsten für sich ist und seine Kunst über alles stellt. Die beiden wohnen in verschiedenen Teilen des Hauses, und Ninon muss Besuche bei ihm im voraus ankündigen, oder er teilt ihr durch Zettelchen mit, was er von ihr wünscht. Sie nimmt es auf sich, denn sie sieht sie sich als „Dienerin“ seiner Kunst. Ihr “Dienst an der Dichtung” besteht darin, „Hesses stille Unerreichbarkeit nicht zu stören und seine Lebensqualen, die sie als notwendige Voraussetzung für sein Schaffen sah, nicht zu mildern, sondern stillschweigend mitzutragen. Ihre Aufgabe war das „lautlose Da-Sein und wieder Verschwinden“, das „Immer bereit sein“ und „Nicht-da-sein“, je nachdem, wie es Hesse brauchte.“ (zitiert nach Gisela Kleine, „Zwischen Welt und Zaubergarten“, Sigmaringen 1982). Erst spät findet Ninon eine eigene Berufung in der Erforschung der griechischen Mythologie und Antike, sie lernt mit 60 Jahren neugriechisch und unternimmt mehrere Reisen nach Griechenland.

Was ist das für eine Frau, die ihr Leben scheinbar bereitwillig einem anderen opfert?

In Ninons Geburtshoroskop überwiegen die Elemente Erde und Wasser, in erster Linie repräsentiert durch die Zeichen Jungfrau, Krebs und Fische. Sie ist also sowohl sensibel, fürsorglich und idealistisch wie auch treu, beständig, zuverlässig, praktisch, und beschäftigt sich bis ins Detail mit dem Konkreten und Greifbaren, das heisst, sie ist fähig, ihre idealistischen Pläne in die Realität umzusetzen. Sie verfügt auch über ein reiches Gefühlsleben und seelische Ressourcen, das zeigen die 7 Planeten – 5 davon sind persönliche – in ihrem 2. Quadranten.

Betont ist das 4. Haus; es zeigt wie der Krebs-Aszendent, dass die Familie, dass Gefühle, Fürsorglichkeit, Umsorgen eine zentrale Rolle in ihrem Leben spielen. Auch das Bedürfnis nach Zugehörigkeit ist ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens. Der Krebs-Aszendent verleiht ihr auch etwas „Mondhaftes“: sie ist sensibel, ruhig, zurückhaltend und reserviert, aber auch launenhaft und kapriziös, hat einen leichten Hang zur Schwermut sowie eine gewisse Scheu und Kontakthemmung. Die Phantasie ist sehr ausgeprägt, aber es gibt auch kindliche Gefühlsäußerungen und Vorstellungen. Das Wunschdenken bestimmt vielfach ihr Leben, sonst hätte sie Hesse niemals angeboten, sein Leben in ihre Hände zu nehmen, wo sie es sicher aufgehoben glaubte.

Hesse nennt Ninon übrigens „eine Tochter der Mondgöttin Selene: ihr Wesen spiegelt sich im Wandel zwischen traurig-stillen, und dann wieder lichten und heiteren Phasen“, für ihn war sie die erste Frau, die ihm wirklich die Mutter ersetzte, nach der er in allen Werken unüberhörbar gerufen hatte.

Der Mond steht als AC-Herrscher in Jungfrau im 4. Haus: Mit den Gefühlen anderer Menschen geht Ninon sorgfältig um, will niemandem weh tun, auch wenn sie selbst leicht verletzbar ist. Diese Empfindlichkeit, eine Mischung aus Krebs- und Jungfrau-Betonung, macht es ihr schwer, Kritik oder harte Worte zu akzeptieren, besonders von Menschen, die sie liebt. Wenn so etwas passiert, ist sie leicht gekränkt und neigt dazu, sich in ihr Schneckenhaus zurückzuziehen. Ihre Verletztheit über Hesses zeitweilige Wutausbrüche verbirgt sie unter einer Hülle von Selbstbeherrschung.

Auch ein oftmaliger Wohnsitzwechsel ist mit dem Geburtsherrn im 4. Haus angesprochen, da sich der Mond in einem beweglichen Zeichen befindet. Ninon ist von Czernowitz nach Wien übersiedelt, hat mit ihrem ersten Mann eine Weile in Berlin und Paris gelebt, bis sie zu Hesse ins schweizerische Montagnola zog.

Das Bedeutsamste in diesem Horoskop ist sicherlich die Neumond-Geburt bei einer Sonnenfinsternis: Sonne und Mond stehen sehr eng beisammen, in einer fast minutengenauen Konjunktion im 4. Haus. Jeder Mensch, der unter einem Neumond geboren wird, hat die Aufgabe, etwas Neues in die Welt hinauszutragen. Gleichzeitig wird bei der Finsternis das eigene Ich (die Sonne) verdunkelt, es strahlt nicht so, wie es strahlen sollte, die eigene Persönlichkeit kann vielleicht nicht so gut zum Ausdruck, die angeborenen Talente nicht voll zur Verwirklichung gebracht werden, da die Sonne ja vom Mond verfinstert wird.

Der Mond in einem Erd-Zeichen zeigt, dass körperliche und materielle Bedürfnisse für Ninon von grösster Wichtigkeit sind, jede Art von – realer oder scheinbarer – Entwurzelung ruft Belastungen und Angst hervor. Am liebsten ist ihr eine vertraute Umgebung, vertraute Menschen und die Sicherheit, zu wissen, was als nächstes geschieht. Mit dem Mond in Jungfrau will Ninon nicht im Mittelpunkt stehen, sondern angepasst sein, ruhig und besonnen, vernünftig, bescheiden, unauffällig; es besteht die Angst, nicht im Sinne der Ordnung zu funktionieren, daher ist sie sehr fleissig und ordentlich, fast penibel, will es auch stets sauber haben. Gefühle drückt sie weniger direkt aus, sondern lebt diese mehr über die Arbeit – nämlich indem sie Hesses Haushalt führt.

Auf materielle Sicherheit und gesellschaftliche Akzeptanz richtet Ninon viel Aufmerksamkeit, manchmal kann sie dabei fast zwanghaft und besessen wirken (Pluto im Quadrat zur Mondknotenachse). Sie ist sinnlich (Mond Konjunktion Venus), aber wählerisch bei der Suche nach Vergnügungen (Saturn in 5).

Da wir es hier aber mit einem Jungfrau-Neumond zu tun haben, ist Ninon natürlich auch sehr lernwillig und wissbegierig, sie wird rasch unsicher, wenn sie etwas nicht weiss. Auch hat sie eine soziale Einstellung, will im Leben etwas Nützliches tun und sich zur Verfügung stellen. Durch die enge Verbundenheit der beiden Lichter ist Ninon aber auch extrem subjektiv und auf sich bezogen. Sie empfindet sich als Hesses „Retterin“, braucht aber bei aller Opferbereitschaft auch seine Abhängigkeit von ihr.

Ihre Sicherheit bezieht sie aus Ruhe und Ordnung sowie einem geregelten Tagesablauf. Sie muss etwas leisten und dienen, darf sich nicht gehen lassen, braucht das Gefühl, nützlich zu sein und gebraucht zu werden, und sie möchte auch keine Zeit für überflüssige Dinge vergeuden. Für ihr Wohlbefinden ist die Anerkennung der geleisteten Arbeit sehr wichtig. Diese Anerkennung kann ihr Hesse nicht oft geben, erst im Lauf der gemeinsamen Jahre erkennt er, wie wertvoll sie für ihn und seine Schaffenskraft ist.

Saturn ist der Herrscher des 7. Hauses, des Partner-Hauses, und steht im 5. Haus. Ninon sucht also Partner, die nicht nur Disziplin und Struktur in die Beziehung einbringen, sondern auch Kreativität. Sie braucht Partner, die verlässlich, aber eventuell auch besserwisserisch sind, die sie beschützen und nach aussen abschirmen, die möglicherweise älter sind und ihr „die Welt erklären“ (diesem Typ entsprachen – wenn auch auf unterschiedliche Weise – beide Ehemänner, Fred Dolbin und Hermann Hesse).

Saturn, der ein Trigon sowohl zum Aszendenten wie auch zum MC bildet, gibt ihr darüber hinaus sehr viel Kraft und Ausdauer bei der Erfüllung ihrer Pflichten und lässt sie allen Widerständen trotzen. Dieses Trigon ist auch für die Beharrlichkeit verantwortlich, mit der Ninon ihre Ziele verfolgt, und macht sie verantwortungsbewusst, zäh und extrem genau bei der Erfüllung der Anforderungen.

Auch durch die Jungfrau-Sonne erkennen wir Ninons Wesen, das analysieren, dienen, ins Detail gehen will, aber es ist auch ein gewisser Mangel an Selbstvertrauen vorhanden, sowie die Neigung zur Unauffälligkeit und die Bereitschaft, sich nützlich zu machen. Trotz einer durchaus kritischen Fassade gibt es eine merkbare Anpassungsfähigkeit, sie stellt selten ihre eigenen Standpunkte und persönlichen Wünsche explizit in den Vordergrund, sondern setzt einfach die ihr notwendig scheinenden Aufgaben und Arbeiten um – aus ihrer subjektiven Perspektive wohlgemerkt. So hat sie einfach beschlossen, Hesse zu retten, weil ihr das aus ihrer Sicht als einzige Möglichkeit erschien.

Zu der engen Konjunktion der beiden Lichter in Jungfrau im 4. Haus kommt noch die Venus hinzu: Ninon stammt aus einem liebevollen Elternhaus, Vater und Mutter werden als Symbiose erlebt (Sonne Konjunktion Mond), das Elternhaus wird als Enklave der Geborgenheit empfunden und erweckt in Ninon die Sehnsucht nach einer ebensolchen Symbiose in ihren eigenen Beziehungen. Eine Sehnsucht, die nicht erfüllt wird. Letzten Endes ist sie, mit Hesse im Dialog stehend, wesentlich hilfreicher für ihn, als in einer möglichen Symbiose, die er ihr verweigert.

Venus steht als Herrin von 5 in Jungfrau im Fall: Ninon möchte sich als Künstlerin sehen, es fehlt ihr jedoch der Mut zur Gestaltung. So will sie wenigstens der Kunst und den Künstlern nahe sein, nicht als Muse, sondern als Dienerin an der Kunst an sich. Die Rückläufigkeit der Venus zeigt uns, dass Ninon gewisse Kunstfertigkeiten mitbringt, aber vergangenheitsorientiert ist und sich schwer tut, etwas Neues zuzulassen. Ninon erkennt allerdings, dass schöpferische Begabung nicht nur in künstlerische Produktivität münden muss, sondern dass sogar zur Gestaltung des eigenen Lebens Kreativität notwendig ist, daher bemüht sie sich, aus ihrem Leben eine Schöpfung zu machen.

Merkur als Sonnen- und Mondherrscher steht in Rezeption zu Venus sowie im Trigon zu Neptun und Pluto: Ninon hat ein fast fanatisches Pflichtgefühl, den Drang, Opfer auf sich zu nehmen, sowie einen Hang zur Perfektion und Genauigkeit, sie braucht aber auch das unaufhörliche Selbstgespräch in Reisetagebüchern, um sich der Kontinuität ihres Lebens bewusst zu bleiben. In der Detailliertheit ihrer Aufzeichnungen zeigt sich ihre Furcht vor Versäumnissen, sie hat einen pedantischen Drang zur Lückenlosigkeit. Dadurch erhalten aber alle Erlebnisse, ob wichtig oder nicht, das gleiche Gewicht.

Während Hermann Hesse als Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger weltberühmt wurde, ist der Name seiner 3. Frau weitgehend vergessen, obwohl sein Spätwerk ohne sie undenkbar wäre. Zu ihrem 125. Geburtstag wollen wir ihrer respektvoll gedenken.