Lou Andreas-Salomé zum 160. Geburtstag

Die Schriftstellerin und spätere Psychoanalytikerin Lou Andreas-Salomé wurde am 12. Februar 1861 in St. Petersburg, Russland, als 6. Kind und einzige Tochter des Generals Gustav von Salomé, der dem Zaren diente, und seiner Frau Louise, geb. Wilms, geboren. Die Sonne steht in diesem Horoskop im Zeichen Wassermann, der Aszendent in Widder. Wir können daher davon ausgehen, dass Lou Andreas-Salomé eine sehr freiheitsliebende, unkonventionelle Persönlichkeit war, die sich nichts vorschreiben ließ und schon in jungen Jahren ihren eigenen Weg verfolgte, selbst wenn sie dabei genau das Gegenteil von dem tun musste, was andere ihr vorschlugen oder von ihr erwarteten.

Ihre ganze Jugend hindurch und auch später im Erwachsenenalter zeigt sie das für Wassermann-Geborene typische rebellische Verhalten. Als Kind fällt sie durch ihre Eigenwilligkeit auf. Sie hält sich für etwas Besonderes, Einzigartiges, und verspürt ein deutliches Gefühl, „in ihrem Wesen und ihren Ansichten von der Regel abzuweichen“ (Lou Andreas-Salomé: „Lebensrückblick“ (LRB), 1951 posthum veröffentlicht, S. 318). Sie handelt aus ihrem freien Willen heraus und verträgt keinerlei Zwang oder Einengung, lässt sich von niemandem etwas sagen.

Die Formel „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ lässt sich fast exemplarisch auf das Leben von Lou Andreas-Salomé anwenden: Die Freiheit war für sie einer der höchsten Werte im Leben, sie setzte alles daran, ihre Freiheit zu erringen und sie auch für immer zu behalten. So setzte sie mit 20 Jahren durch, in Zürich studieren zu dürfen, was Frauen zur damaligen Zeit im Großteil Europas noch verwehrt war, und etwas später, im Herbst 1882, gründete sie mit ihrem (platonischen) Freund, dem Philosophen Paul Rée, eine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft in Berlin – wir würden das heute WG nennen. Damals war es fast unvorstellbar und jedenfalls unerhört, dass eine Frau mit einem Mann zusammenlebte, ohne mit ihm verheiratet zu sein. Doch Lou hatte sowohl Rées Heiratsantrag als auch den seines Freundes Friedrich Nietzsche abgelehnt, denn sie wollte frei bleiben, sich nicht binden – für die damalige Zeit ein ungeheures Auflehnen einer jungen Frau gegen die gängigen Konventionen, die die Ehe als höchstes zu erreichendes Gut für ein Mädchen priesen.

Gleichheit: Obwohl Lou keine Feministin im Sinne der Vorkämpferinnen dieser Bewegung im 19. Jahrhundert war und sich auch nicht mit deren Ideen identifizieren wollte (dafür war sie zu sehr Individualistin), lebte und gestaltete sie ihr Leben wie ein Mann, verkehrte in Philosophen- und Schriftstellerkreisen in Berlin und beendete philosophische Gespräche mit ihren Freunden nicht selten in nächtlichen Cafés.

Und Brüderlichkeit: Für sie hieß es nicht „Alle Menschen werden Brüder…“, wie bei Schiller, sondern „Alle Männer sind mir Brüder“ – zumindest die an Jahren älteren, zu denen sie einen sehr vertrauensvollen, ungezwungenen Umgang pflegte, wie sie es von daheim mit ihren 3 älteren Brüdern gewohnt war – natürlich ohne sexuelle Implikationen (das geht bekanntlich bei Brüdern nicht).

Lou führte ein sehr freies Leben, sie suchte sich die Menschen, mit denen sie Umgang pflegte, selbst aus und hatte ein sicheres Gespür für außergewöhnliche Menschen, egal ob es sich dabei um Männer oder um Frauen handelte. Sie war u.a. befreundet mit Paul Rée, Friedrich Nietzsche, Frank Wedekind, Gerhart Hauptmann, Georg Ledebour, Frieda von Bülow, Jakob Wassermann, Rainer Maria Rilke, Sigmund Freud, Anna Freud, um nur einige zu nennen. An bürgerliche Vorgaben hält sie sich nicht. So lebt sie in späteren Jahren als Professorengattin in Göttingen ein Leben abseits aller in diesem Milieu erwarteten Konventionen.

Doch für eine astrologische Deutung ist nicht nur das Sonnenzeichen von Bedeutung, sondern auch andere Radix-Indikatoren, wie z.B. der Aszendent, der hier im Zeichen Widder und in enger Verbindung mit seinem Herrscher-Planeten Mars steht.

Die Widder-Energie hat etwas Pionierhaftes an sich und drückt sich am besten durch Taten und Impulse aus. Mit dem Aszendenten im Zeichen Widder drängt Lou nach vorne, lotet neue Grenzen aus und nimmt jedes Abenteuer freudig an. Sie ist eine spontane, dynamische und willensstarke Persönlichkeit, die viel Bewegung und persönlichen Freiraum braucht. Auch vertraut sie auf ihr Glück oder eine inneren Führung und ist sicher, dass sie für jedes Problem eine Lösung finden kann.

Für eine Frau ist die Konstellation mit Widder-Aszendent in Verbindung mit Mars sicherlich schwierig, da sie das männliche Element in einer Persönlichkeit hervorkehrt. Auf der anderen Seite trägt sie aber auch dazu bei, als intelligente Frau in einer männerorientierten Gesellschaft ernster genommen und nicht nur als „Weibchen“ gesehen zu werden. Lou zeigt Mut, Unerschrockenheit, Initiative und Pioniergeist bei der Gestaltung ihres Lebens, sie fühlt sich niemandem verpflichtet außer sich selbst und kann ihre Interessen sehr gut durchsetzen. Mit dem Widder-Aszendent ist auch ein ausgesprochener Bewegungsdrang verbunden: Lou liebte es besonders in Berlin, wo sie am Stadtrand wohnte, barfuß durch die Wälder zu laufen, was zur damaligen Zeit ein ziemlich ungewöhnliches Unterfangen war.

Gleichzeitig steht Mars am Aszendenten auch für eine selbstbezogene Unbekümmertheit und eine bisweilen an Skrupellosigkeit grenzende Naivität, mit der sie Menschen, die ihr wohlgesonnen waren, oft vor den Kopf stieß. Dass sie in ihrer entwaffnenden und ausschließlich an den eigenen Bedürfnissen orientierten Art ihre Mitmenschen verletzte, war ihr meist nicht bewusst und verursachte ihr daher auch kein schlechtes Gewissen.

Der Widder-Mars steht in einem harmonischen Winkel zur Wassermann-Sonne, das heißt, wenn Lou etwas tut, tut sie es ganz, wenn auch nur so lange, wie es ihr richtig erscheint (und nicht, wie es Konventionen oder Rücksichtnahme vielleicht verlangen könnten). So sind Ziele für sie nicht nur Luftschlösser, sondern sie setzt alles daran, diese auch zu verwirklichen und ihr Leben in Eigeninitiative zu gestalten. Diese Tatkraft und Direktheit wirken auf andere überzeugend. Das zeigte sich auch auf eindrucksvolle Weise, als sie im Alter von 50 Jahren begann, sich mit der Psychoanalyse zu beschäftigen, bei Sigmund Freud in Wien „in die Schule“ ging und bald ein anerkanntes (und das einzige weibliche) Mitglied seiner berühmten „Mittwochs-Gesprächsrunde“ war, was eindrucksvoll zeigt, dass sie sich auch – anfangs möglicherweise zweifelnden – Männern gegenüber durchsetzen konnte.

Doch es gibt im Horoskop von Lou Andreas-Salomé noch eine andere, sehr gewichtige Komponente, und zwar den Mond im Zeichen Fische, wo er verträumt, phantasievoll, kreativ, sensibel, intuitiv, anhänglich macht. Menschen mit dieser Mondstellung spüren angeblich genau, was in anderen vorgeht. Es ist sicherlich eine von Lous Stärken, dass sie andere Menschen genau durchschauen kann – aber ob das auch erspüren ist? Das grenzenlose Mitgefühl ist hier wohl eher in eine natürliche psychologische Begabung und in soziales Empfinden transformiert.

Mit dem Mond in Fische und dazu in Konjunktion zu Neptun sowie im 12. Haus sind die Gefühle oft verborgen oder werden verdrängt, und es gibt Probleme, sich seelisch zu öffnen. Das war wohl bei einer Frau wie Lou, die derartig vom Kopf her lebte und alles ihrem Willen und ihrer Durchsetzungskraft unterordnete, der Fall. Nähe zuzulassen, fiel ihr schwer, auch wenn die Sehnsucht nach Geborgenheit da gewesen sein mag. Dabei zeigte sie aber durchaus große Hilfsbereitschaft und soziales Empfinden, was andere Menschen auch spürten und sich ihr mit ihren seelischen Nöten anvertrauten. Wir finden bei Lou von Salomé von Kindheit an ein reiches Innenleben mit einer lebhaften Phantasie, und sie setzte sich auch mit Meditation, Religion und Mystik auseinander. Die Fische-Betonung begünstigt auch die dichterische Begabung: Lou Andreas-Salomé war Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts eine bekannte und anerkannte Schriftstellerin.

Außerdem war Lou von der richtungweisenden Bedeutung ihrer Träume als Ausdruck einer inneren Stimme überzeugt und ließ sich ihr Leben lang davon leiten (Freuds „Traumdeutung“ erschien erst im Jahr 1900). Sie hatte ihr Leben lang ein tiefes Vertrauen zu einer „inneren Führung“ und war überzeugt, intuitiv das richtige zu tun.

Pluto steht im Erdzeichen Stier im ersten Haus und bildet ein Trigon zum MC. Lou wird als charismatische Persönlichkeit beschrieben, die auf andere Menschen eine ungewöhnlich starke Ausstrahlung hatte, und das bis ins Alter. Auf manche Menschen wirkte sie geradezu hypnotisch. Außerdem hatte sie einen enorm starken Willen, war unnachgiebig und ließ sich kaum jemals von ihren Vorhaben abbringen, sondern verfolgte unbeirrbar ihren eigenen Weg.

Es ist bezeichnend, dass bis auf den Geburtsherren Mars nur überpersönliche Planeten im ersten Haus der Radix stehen (nämlich Pluto und Uranus): Lou hatte bis in ihr 4. Lebensjahrzehnt ein ziemlich distanziertes Verhältnis zu ihrem Körper und dessen Empfindungen und in ihren Beziehungen und Freundschaften zu Männern kein Interesse an körperlicher Intimität und Sexualität.

Doch wie sah das Beziehungsleben dieser Frau aus? Vielleicht kann uns Venus darauf eine Antwort geben. Venus steht in Wassermann im 11. Haus und bildet ein weites applikatives Quadrat zu Pluto und ein weites applikatives Trigon zu Uranus, der ihr Zeichenherrscher ist.

Hier ist die Assoziation „freie Liebe“ fast zwingend, aber auch der Aspekt, dass Freundschaft in einer Beziehung wichtiger ist als Leidenschaft, und dass sie immer und unter allen Umständen selbständig bleiben will. Lous Liebesleben, das keinerlei Sexualität mit ihrem Ehemann zuließ, dafür aber Phasen intensiver außerehelicher Beziehungen enthielt, kann durchaus als extrem bezeichnet werden (Venus Quadrat Pluto). Ungewöhnlich war es allemal (Venus Trigon Uranus). Beziehungen müssen ihr totale Freiheit gewährleisten, gegen Besitzansprüche ist sie allergisch.

Venus ist Mitherrscherin des 1. Hauses (ist also ein Persönlichkeitsanteil von Lou), bezeichnet als Herrin des 7. Hauses aber auch die Partner bzw. das, was von außen auf Lou zukommt. Das Venus-Pluto-Quadrat erklärt somit nicht nur die Faszination, die diese Frau auf viele Männer in ihrem Umkreis ausübte, sondern auch den Umstand, dass bei nicht wenigen, die in Liebe zu ihr entflammten, jedoch von Lou in ihren Leidenschaften in die Schranken gewiesen und/oder verlassen wurden, die anfängliche Liebe in Hass umschlug.

Für die spätere Psychoanalytikerin ist natürlich auch Merkur ein wichtiger Planet, er steht hier in Fische im 12. Haus. Diese Stellung drückt eine reiche Phantasie sowie dichterische Begabung aus, ebenso großes Einfühlungsvermögen, Intuition und ein Gespür für psychologische Zusammenhänge. So wird sie in ihrem letzten Lebensabschnitt die ideale Psychoanalytikerin und kann so einsamen, kranken, neurotischen oder süchtigen Menschen helfen. Von ihren Freunden wird sie als gute Zuhörerin beschrieben, die hautnah mitfühlt, was der andere erzählt.

Mit der Merkur-Opposition zu Saturn in Jungfrau schafft sie Strukturen im Denken und legt Wert auf präzises Arbeiten. In ihrem Lerneifer ist Lou sehr ehrgeizig, sie weiß um ihre intellektuellen Fähigkeiten, ist tiefgründig im Denken und will sich mit ihrem Wissen, das sie auch oft in Buchform bringt, profilieren. Daher ist sie als Schriftstellerin auch erfolgreich. Außerdem findet sie in der Stille des Alleinseins (12. Haus) oft Zeit und Ruhe, um ungestört nachdenken zu können.

Saturn, der MC-Herrscher, und Uranus, der Sonnen-Herrscher, bilden ein Quadrat zueinander, in dem sich vielleicht ganz gut ein gewisser Widerspruch zeigt zwischen der Notwendigkeit, gewissenhaft zu arbeiten, um Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen, und andererseits einem unbändigen Freiheitsbestreben, das sich nichts und niemandem verpflichtet fühlen will, sowie einem grundlegenden Bedürfnis nach Entwicklung der eigenen Individualität. Man könnte hier auch sagen: Lou befreit sich von überkommenen Traditionen und macht das Außergewöhnliche zu ihrem Maßstab. Sie gesteht sich das Recht auf ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu.

Erst in den Jahren kurz vor ihrem Tod konnte sie sich selbst eingestehen, dass sie zwar ihr Leben nach ihren Vorstellungen und ihrem Willen gelebt hatte, jedoch ihr Liebesglück mehr als nur einmal ihrer Selbständigkeit und dem Bedürfnis nach kompletter Unabhängigkeit geopfert hatte.